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Erstellt:24.02.2008
Aktualisiert:20.04.2016 Update 3
  

Argumente gegen die
heimliche Online-Durchsuchung

  1. Die sogenannte hohe Hürde dieser Maß­nahme wird tagtäglich weiter sinken, bis die Ermittlungs­methode zur Standard­maßnahme verkommen ist und unzählige Menschen von ihr betroffen sein werden.
  2. Die Online-Durchsuchung kann überhaupt nur in verfassungs­widriger Aus­gestaltung ihren Zweck erfüllen, da zur Unter­scheidung von geschützen und nicht­geschützten Daten in jedem Fall auch die geschützen Daten untersucht werden müssen.
  3. Die Online-Durchsuchung schafft ein Klima des gegen­seitigen Miß­trauens zwischen der Staats­macht und dem Volk, welches in der Umkehr der Unschulds­vermutung mündet.
  4. Ist die Online-Durchsuchung erst einmal gesetzlich verankert, wird sie niemals wieder aus dem Gesetz verschwinden.

 Zu 1. 

Haben die Ermittlungs­behörden erst einmal grund­sätzlich die Möglich­keit, private Computer heimlich zu durchsuchen, wird allein die Existenz dieser Ermittlungs­methode weitere Begehr­lich­keiten bei den Ermittlern wecken. Das ist wie ein offener Honigtopf vor einem Bienen­stock. Online-Durchsuchungen werden am Ende schon beim leisesten Verdacht im großen Maßstab durch­geführt werden, zumal sie heimlich erfolgen sollen, wodurch sich die Maßnahme jeglicher öffent­licher Kontrolle entziehen wird. Die um mehrere hundert Prozent gestiegene Anzahl der Telefonüberwachungen seit Einführung dieser Maßnahme ist geradezu exemplarisch für diese Entwicklung. Der sogenannte richterliche Vorbehalt, der eigentlich den Bürger vor der ausufernden Über­wachung hätte schützen sollen, funktioniert nachweislich nicht, wie entsprechende Studien zeigen. Die Richter vertrauen darauf, daß die Anträge auf Über­wachung gerecht­fertigt sind und unter­schreiben sie ohne die eigentlich erforder­liche, eingehende Prüfung. Das ist eine empirisch nach­gewiesene und damit nicht zu leugnende Tatsache. Wenn nun die Befür­worter der heimlichen Online-Durchsuchung versprechen, eine solche Entwicklung finde aus­gerechnet bei dieser Maßnahme nicht statt, dann ist dieses Versprechen entweder extrem blauäugig oder eine vorsätzliche Irre­führung, die nur darauf abzielt, die Zustimmung des Volkes zu erschleichen.

 Update 
Nachdem diese Seite seit 2008 im Netz ist, gibt es heute am 24.09.2010 einen guten Grund für einen Nach­trag, der meine Befürch­tungen mehr als bestä­titgt. Hier die Nach­richten­meldung:
Zudem macht sich de Maiziere für den Ein­satz heim­licher Online-Durch­such­ungen zur Straf­ver­folgung stark. Bisher darf allein das Bundes­kriminal­amt (BKA) zur Abwehr ter­ror­istischer Ge­fahren ver­deckt auf IT-Systeme Ver­dächtiger zu­greifen. Der Innen­minister drängt nun auf eine Ver­wertungs­befug­nis für Daten, die mit dem Bundes­tro­janer ge­wonnen werden, in der Straf­prozess­ordnung (StPO). Damit würde die bis­lang auf die prä­ventive Abwehr von Terror­ge­fahren be­schränkte und nach offi­ziellen An­gaben noch nicht in An­spruch genom­mene Maß­nahme als re­guläres Beweis­mittel im Straf­pro­zess zu­gelassen

[Quelle]  www.heise.de, 24.09.2010

Auch wenn das noch keine be­schlos­sene Sache ist, zeigt doch alleine die er­neut zum Aus­druck ge­brachte Be­gehr­lich­keit, heim­liche Online-Durch­such­ungen auch zur Straf­ver­folgung ein­zu­setzen, daß es ein­zig eine Frage der Zeit ist, bis auch diese Er­mittlungs­methode auf der Ban­alitäts­ebene an­zu­tref­fen ist. Zur Er­inner­ung: Die heim­liche Online-Durch­suchung war einst als reine Präventiv­maß­nahme ein­ge­führt worden, um Terror­anschläge zu ver­eiteln. Von Straf­ver­folgung war 2008 nicht die Rede. Danke Herr De Maiziere dafür, daß sie meine Befürch­tungen so rasch bestätigen.

 Zu 2. 

Die sogenannte Online-Durchsuchung ist auf jeden Fall ein gezielter Ein­bruch in die Privat­sphäre der Bürger. Und zwar auch dann, wenn seitens der Politik noch so sehr ver­sprochen wird, die Privats­phäre bliebe geschützt. Um nämlich über­haupt zwischen geschützen und nicht­geschützten Daten unter­scheiden zu können, müssen auch die geschützten Daten durch­sucht werden. Eine Soft­ware ist dazu gänzlich ungeeignet und kann den Schutz der Privat­sphäre ent­weder nicht gewähr­leisten oder sie findet gesuchtes Material nicht, weil es geschickt in vermeintlich privaten Daten versteckt wurde.

Ich kenne und respek­tiere die Recht­sprech­ung des BVerfG zum Schutz der Privat­sphäre. Aber wir müssen auch sehen, dass dieser Schutz in der All­tags­wirk­lich­keit prakti­kabel bleibt. Ver­brecher und Ter­roristen sind klug genug, so etwas aus­zunutzen. Die tarnen ihre In­forma­tionen dann zum Bei­spiel als Tage­buch­eintrag. So leicht dürfen wir es denen nicht machen.

Wolfgang Schäuble, 8. Februar 2007

Zudem wird kein Außen­stehender jemals über­prüfen können, wie die dafür ein­gesetze Soft­ware über­haupt funktio­niert und ob und wie sie für den Einzel­fall modi­fiziert wird. Des­halb ist seitens des Innen­ministeriums vor­gesehen, daß drei BKA-Mit­arbeiter die Daten zuvor sichten, um geschützte Daten aus­zusor­tieren. Dabei wird leider über­sehen, daß auch diese drei Beamte in dem Moment, da sie diese Arbeit er­ledigen, den Staat reprä­sen­tieren und in die Privat­sphäre ein­dringen müssen, um zwischen geschützen und nicht­geschützen Daten zu unter­scheiden. Ein Paradox!

Die verfasungs­widrige Verletzung der Privat­sphäre durch den Staat findet also auf jeden Fall statt. Und da zu erwarten ist, daß Schwerst­kriminelle und Terroristen die gesuchten Daten in privaten Dateien ver­stecken, wird das BKA gerade die privaten Dateien durch­suchen wird, wenn das Mittel der Online-Durchsuchung über­haupt seinen Zweck erfüllen soll. Deshalb hat Innen­minister Schäuble ja schon am Anfang der Debatte gesagt, es könne bei der geplanten Maßnahme keinen geschützen Bereich auf den Fest­platten der Betrof­fenen geben. Die Online-Durchsuchung ist schon aufgrund dieses inneren Wider­spruchs ein ver­fassungs­widriges Mittel, welches sich in erster Linie gegen unbedarfte und unschuldige Bürger richtet.

 Zu 3. 

Der heimliche Einbruch der Staats­gewalt in die Privat­sphäre der Bürger stellt einen ein­maligen Tabubruch dar, der dem Staat eine ungeheure Maß­losigkeit attestiert und deshalb die berechtigte Frage aufwirft, ob der Staat über­haupt jemals irgend­welche Grenzen respek­tieren wird, oder ob er nicht viel mehr alles Machbare letzten Endes auch tun wird. Was ist z.B., wenn zukünftige Techno­logien den direkten Einblick in die Gedanken der Menschen ermöglichen? Das Vertrauen der Bürger, der Staat respektiere ihre Privat- und Intims­phäre, würde mit der Ein­führung der heimlichen Online-Durch­suchung jeden­falls massiv beschädigt werden und ein Klima des gegen­seitigen Miß­trauens schaffen. Die Bürger würden damit beginnen, ihre Privat­sphäre gegen den Staat zu schützen, was sie in den Augen der Ermittlungs­behörden widerum verdächtig erscheinen ließe und sie erst recht ins Faden­kreuz rücken würde. Spätestens dann wäre die Umkehr der Unschulds­vermu­tung und damit die völlige Abkehr von allen bisherigen, rechts­staatlichen Prinzipien in der Straf­verfolgung besiegelt.

 Zu 4. 

Mit dem legalisierten Einbruch in die Intim­sphäre der Bürger wird eine Grenze über­schritten, die niemals hätte über­schritten werden dürfen. Leider zeigt die Vergangen­heit, daß einmal verab­schiedete Gesetze nie wieder zurück­genommen werden. Selbst wenn das Ver­fassungs­gericht solche Gesetze bean­standet, werden sie aller­höchstens so modifiziert, daß sie gerade noch dem Anspruch genügen.

 Update 

Am 03.03.2009 habe ich eine Verfassungsbeschwerde gegen das im Jahr 2008 beschlossene und am 01.01.2009 in Kraft getretene BKA-Gesetz erhoben, die auch angenommen wurde. Aktenzeichen: 1 BvR 521/09. Bei der Durchsicht meiner Webseiten stelle ich gerade fest, daß seither schon viel Wasser die Donau runter­geflossen ist, ohne daß man vom BVerfG auch nur das Geringste zum Thema hört. Heute, am 19.04.2016 sind 2605 Tage vergangen. Das sind über 7 Jahre. Sicher ist das BVerfG überlastet, keine Frage. Aber wenn es um Entscheidungen zum Thema Geld geht, gibt es stets sehr viel schneller Urteile. Bürgerrechte scheinen nicht so wichtig zu sein...

 Update 

Das BVerfG hat sich endlich aufgerafft und seit heute (07.07.2015) wird das BKA-Gesetz nun endlich verhandelt . Nach fast 7 Jahre ist das eigen­tlich ein Witz. Sollte fest­gestellt werden, daß das Gesetz verfassungs­widrig ist, so haben die Ermittlungs­behörden schon fast 7 Jahre massiv die Grund­rechte von Menschen ver­letzt. Obwohl meine Verfassungs­beschwerde nie abgewiesen wurde, wurde ich vom Gericht nicht über die Verhand­lung benach­richtigt und in der Presse auch nicht genannt. Ich gehe daher davon aus, daß meine Klage und damit meine Argumente gegen das BKA-Gesetz schlicht­weg ignoriert wurden. Eine Entscheidung wird im Herbst erwartet.

 Update 20.04.2015  Das Gericht hat endlich entschieden. Das BKA-Gesetz ist in großen Teilen Verfassungswidrig und muß nachgebessert werden:

  1. § 20h Absatz 1 Nummer 1 c des Bundeskriminalamtgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 3083) und in der Fassung späterer Gesetze verstößt gegen Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes und ist nichtig.
  2. § 20v Absatz 6 Satz 5 Bundeskriminalamtgesetz verstößt gegen Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1, jeweils in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, und ist nichtig.
  3. § 14 Absatz 1 (ohne Satz 1 Nummer 2), § 20g Absatz 1 bis 3, §§ 20h, 20j, 20k, 20l, § 20m Absatz 1, 3, § 20u Absatz 1, 2 und § 20v Absatz 4 Satz 2, Absatz 5 Satz 1 bis 4 (ohne Satz 3 Nummer 2), Absatz 6 Satz 3 des Bundeskriminalamtgesetzes sind nach Maßgabe der Urteilsgründe mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1 und 3 - auch in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz - nicht vereinbar.

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