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Erstellt:08.08.2009
Aktualisiert:22.11.2011
  

Sicherheit versus Freiheit

Spricht man Herrn Schäuble auf seine freiheits­einschränken­den Gesetze an, so wieder­holt er gebets­mühlen­artig, daß es eine Freiheit ohne Sicher­heit nicht geben könne und umgekehrt. Daß Sicher­heit die Vorraus­setzung für Freiheit wäre und sich die beiden gegen­seitig bedingen würden. Ich glaube nicht, daß er selbst an diese unsinnige These glaubt, denn zu einfach läßt sie sich wider­legen. Aber leider scheint es so zu sein, daß viele seiner Partei­freunde und große Teile der Bevölker­ung sich mit dieser Behauptung abspeisen lassen und sich nicht einmal die Mühe machen, sie zu hinterfragen.

Grund genug, mit diesem Unsinn endlich aufzuräumen.

Sehr geehrter Herr Schäuble,

Freiheit und Sicherheit bedingen einander nicht, sondern schließen sich sogar gegen­seitig aus. Wer sicher ist, kann nicht frei sein und wer frei ist, kann nicht sicher sein. Es sind zwei Pole, die man nicht gleich­zeitig ein­nehmen kann. Man kann sich zwar be­liebig zwischen ihnen bewegen, aber sie bedingen einander nicht. Jeder Schritt in Rich­tung Sicher­heit bedeutet, daß man sich von der Frei­heit ent­fernt. Und um­gekehrt. Diese ein­fache Erkennt­nis ist so klar und ein­leuchtend, daß man wahr­haftig an der Intelli­genz jener Men­schen zweifeln muß, die Ihnen diesen Quatsch glauben, Herr Schäuble.

Vielleicht meinen Sie damit, daß es in unserer Gesell­schaft weder die völlige Freiheit, noch die absolute Sicher­heit geben könne. Daß es eine Abwägung geben müsse, wo sich unsere Gesell­schaft zwischen den Polen Frei­heit und Sicher­heit posi­tioniert. Wenn Sie das meinen, dann sagen Sie es doch bitte auch so. Aber dann müßten Sie ja einräumen, daß jedes neue Sicher­heits- und Über­wachungs­gesetz gleich­zeitig eine weitere Ein­schränk­ung der Frei­heit be­deutet. Und das zuzu­geben, fällt Ihnen offen­sicht­lich so schwer, daß Sie lieber diesen pau­schalen Un­sinn ver­breiten und die Men­schen für dumm ver­kaufen.

Indem Sie sich immer wieder hinstellen und behaupten, Ihre Gesetze würden zwar mehr Sicher­heit schaf­fen, die Frei­heit aber nicht berühren, betreiben Sie die vorsätzliche Des­infor­mation.

Um nur ein Beispiel aufzugreifen behaupten Sie, daß die Vorrats­daten­speicher­ung keines einzigen Men­schen Frei­heit beein­trächtgen würde. Man könne sich so frei und unbe­fangen ver­halten, wie man es ohne die massen­hafte Proto­kol­lierung der Ver­bindungs­daten konnte.

Doch Sie wissen selbst, daß das nicht stimmt. Nehmen Sie ein Bei­spiel, das eigent­lich jedes Kind versteht: Würden Sie sich denn nicht deut­lich anders ver­halten, wenn sich eine Kamera in Ihrer Woh­nung befände und Sie Kennt­nis davon hätten? Dabei wäre es völlig egal, ob die Kamera aktiv ist und ob Sie tatsäch­lich gerade beob­achtet würden. Denn da Sie das nie wissen könnten, würden Sie sich ständig so ver­halten, als würden Sie gerade über­wacht. Die Kamera würde zwar nicht un­mittel­bar Ihre Frei­heit ein­schränken, jedoch würde sie Sie dazu bringen, ihre Frei­heit selbst ein­zu­schränken (Panoptismus).

Bei der Vorrats­daten­speicher­ung ist es nicht anders. Die Ein­schränkung der Frei­heit und damit der Grund­rechts­eingriff findet keines­wegs erst dann statt, wenn der Staat tatsäch­lich im Einzel­fall die Daten kontrol­liert, sondern bereits mit der Er­hebung dieser Daten. In dem Wissen, daß sein Kommunikations­verhalten ge­speichert wird und jeder­zeit abgerufen und viel­leicht gegen ihn ver­wendet werden könnte, ändert der Bürger sein Kom­munikations­ver­halten, indem er es auf unver­fängliche, unauf­fällige und belang­lose Kom­munikation redu­ziert. Das ist nicht nur eine leichte Ein­schränkung der Freiheit, sondern ein ganz erheb­licher Ein­griff in die Grund­rechte aller Menschen!

Die Verfas­sung ist im­mer weniger das Ge­hege, in dem sich demo­kratisch legi­timier­te Poli­tik ent­falten kann, sondern immer stärker die Kette, die den Be­wegungs­spiel­raum der Politik lahm­legt
(W. Schäuble, September 1996)

Ich fürchte, daß Herr Minister Schäuble den Blick für die Rea­lität ver­loren hat. Er res­pek­tiert nicht den Geist der Ver­fas­sung, son­dern tes­tet ihre Be­last­bar­keit
(Burkhard Hirsch, Mai 2007)

Bei der Vorrats­daten­speicher­ung wird von aus­nahms­los allen Bürgern ges­peichert, wann sie mit wem wie lange auf elek­tron­ischem Wege kom­muniziert haben und wo sie sich dabei gerade aufge­halten haben. Da es keinen Unter­schied macht, ob man auf elek­tronischem, direktem oder auf schrift­lichem Weg mit­einander kom­muniziert, ist die Tiefe des Grund­rechts­ein­griffs nicht ge­ringer, als würde hinter jedem Bürger ein Privat­detektiv her­laufen, der im Auftrag des Staates von jedem Bürger notierte, wann er mit wem und wie lange auf der Straße redet und wo genau das statt­findet. Nur weil die Proto­kol­lierung der elek­tronischen Kom­munikation äußerst einfach und relativ preis­wert zu machen ist, ändert das an der Tiefe des Grund­recht­sein­griffes nichts. Um­gekehrt wird der Grund­rechts­ein­griff nicht dadaurch tiefer, daß das ständige Beob­achten der unmittel­baren Kom­munikation durch Detektive extrem teuer und auf­wändig wäre. Die Tiefe des Grund­rechts­ein­griffs ist also absolut iden­tisch, egal ob die elek­tronische oder die un­mittel­bare Kom­munikation proto­kolliert wird. Die Beur­teilung der Verhältnis­mäßig­keit hat widerum nichts mit dem Auf­wand zu tun, der für den Grund­rechts­ein­griff betrieben werden muß, sondern aus­schließlich mit der Tiefe des Grund­rechts­ein­griffs im Verhältnis zum Ziel, das damit erreicht werden soll. Ein­facher aus­gedrückt ist die Verdachts- und ereignislose Proto­kol­lierung der Ver­bindungs­daten aller Bürger ebenso verhält­nismäßig oder un­verhältnis­mäßig, wie die ständige verdachts- und ereignis­lose Beob­acht­ung aller Bürger durch staat­lich beauf­tragte Privat­detektive auf der Straße!

Ich möchte zum Anfang dieser Web­seite zurück­kommen, wo es um die Abwägung zwischen Frei­heit und Sicher­heit ging und Ihnen für diese Abwägung eine kleine Hilfe an die Hand geben. So heißt es in der deutschen National­hymne keines­wegs 'Einig­keit und Recht und Sicher­heit' sondern nach wie vor 'Einigkeit und Recht und Freiheit'. Das sollte Ihnen helfen, die Prio­ritäten wieder richtig zu justieren.

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